2019 · Tabernakel

TABERNAKEL

Gestaltungsexperiment nach einer Idee von Walter Hoesel mit 37 Prototypen von 37 KünstlerInnen
Ausführung: Starzacher Glaserei Klagenfurt 2019
Präsentation im Künstlerhaus Klagenfurt am 6. November 2019

„eadem mutata resurgo“
[verwandelt kehr‘ ich als dieselbe wieder]1

Jakob Bernoulli

#0112358

Der Tabernakel, übersetzt in das 21. Jahrhundert, erfährt eine grundlegende Umformung, er ist offen, transparent, für jeden einsehbar und wandelt sich somit vom verschließbaren, kompakten Schrein zur Schauvitrine, in der das Private öffentliche Teilung erfährt und jederzeit sichtbar ist.

Theologisch gesehen birgt der Tabernakel in seiner Funktion als Sakramentshaus den Leib Christi – er ist das „Zelt der göttlichen Offen​barung, die „Bundeslade mit den Gebotstafeln Moses” und er stellt einen vorweggenommenen Bezug zum „Himmlischen Jerusalem” her.

Historisch typologisch betrachtet ist er in seiner Form ein geschlossener und behütender Schrein, der das „Allerheiligste” mit seinen Geheimnissen verbirgt.

Im Kontext des sozialen und gesellschaftlichen Handlungsraums der Gegenwart finden sich Merkmale einer Umkehrung: Die Individualität im Alltag rückt in den Vordergrund und Persönliches wird über Medien und digitale Kommunikationsforen öffentlich zur Schau gestellt. Die Partizipation am gesellschaftlichen Leben in der digitalisierten Gesellschaft verlangt nach der Offenbarung des Rohstoffes „Privates Leben”.

Der Tabernakel aus transparentem, magentafarbigem Glas folgt in seiner Form dem goldenen Schnitt2 und mit seiner Gliederung einer Fibonacci-Folge3, die sich mit einer gedachten goldenen Spirale, dem goldenen Schnitt annähert4.

Die ersten sieben Zahlen der Fibonacci-Folge 0,1,1,2,3,5,8 stehen Pate für die Basisproportionen der sechs Fächer. NULL steht für alles Imaginäre, dessen Realanteil Null ist. NULL ist der Ursprung der goldenen Spirale und birgt tatsächlich ein Geheimnis. Das Fach NULL existiert deshalb physisch nicht.

Die beiden, den Wert EINS repräsentierenden Fächer, stehen für das gleichwertige Paar aus dem die ZWEI hervorgeht. Die Projektionsfläche des Faches DREI ist Neun mal so groß wie die der beiden Fächer mit dem Wert EINS. Das Fach FÜNF hat eine 25 Mal und das Fach ACHT eine vierundsechzig Mal so große Projektionsfläche wie die beiden Fächer, die für die Zahl EINS stehen.

Während die beiden „Urfächer” keine Teilungen haben, werden die vier größeren Fächer mit sechs Gläsern, in den Proportionen des goldenen Schnitts, teilverdeckt. Die Gegenstände, die in den Tabernakel gestellt werden, sind von allen Seiten sichtbar – dabei können die betreffenden Gegenstände im „wahren Licht”, teilweise oder ganz hinter dem „leicht gefärbten Farbglasfilter” präsentiert werden.

Der Tabernakel ist für eine freie Positionierung im Raum konzipiert. Auf einem Tisch oder Sockel stehend präsentiert er sich und seinen Inhalt von allen Seiten gleichermaßen.

Armin Guerino, 2018

1 Jakob Bernoulli, Schweizer Mathematiker und ​Physiker, 1655-1705. Das Zitat auf seinem Grabstein zusammen mit einer logarithmischen Spirale wurde von ihm selbst vorgeschlagen.
2 Als goldenen Schnitt bezeichnet man das Teilungsverhältnis eines Ganzen, bei dem das Verhältnis des Ganzen zu seinem größeren Teil dem Verhältnis des größeren zum kleineren Teil entspricht.
3 Eine Fibonacci-Folge ist die unendliche Folge von natürlichen Zahlen die mit 0 beginnt. Im Anschluss ergibt jeweils die Summe zweier aufeinanderfolgender Zahlen die unmittelbar danach folgende Zahl: 0,1,1,2,3,5,8.
4 Das Verhältnis des goldenen Schnitts findet sich in vielen Anordnungen der Natur wieder, während die Fibonacci-Folge als eine Art Wachstumsmuster erscheint.

Dimensionen, Materialien und Technik

Höhe, Breite, Tiefe: 902, 555, 350 mm
Material: VSG-Glas, Optiwhite
Farbe: Vanceva-Layercode 0011, 12,X mm stark
Gesamtgewicht: ca. 58 kg (Glasoberflächen gesamt: 1,93 m2)
Teile: 15